05.05.2009, 20:50
Ich habe hier einen schönen Beitrag gefunden, der die Philosophie der Kurventechnik etwas beleuchtet:
Zitat: Willkommen bei Motostudio.de
Kurventechnik
Hang off - Effektiver Fahrstil, albernes Rumgeturne oder gar nur sinnlose Materialvernichtung?
Hier die Antworten...
Es gibt nicht viele Dinge, die die Bikerwelt ähnlich polarisieren wie die Sache mit dem Knie. Knieschleifer: Ja oder Nein? Eine Frage mit göttlichem Bierrundenpotenzial. Die touristisch veranlagte Gore-Fraktion tippt sich gut sichtbar an die Stirn, wenn eine Meute Plastikbiker im kompletten Rossi-Replica-Ornat in schwer verkrampfter Körperstellung den Weg kreuzt. Und so schön es sich auch anfühlt, wenn das Knie den Asphalt abtastet, auf öffentlicher Straße ist der Hang off-Stil völlig unangebracht. Besonders dann, wenn man ihn nur einsetzt, um am Treff stolz die zerschrappten Pads zu präsentieren.
Denn auch der spektakulärste Stil macht nur dann Sinn, wenn man seine Vorteile nutzen kann. Zwar ist es unumstritten, dass moderne Sportmotorräder im Hang off klar schneller bewegt werden können als in klassischer Manier, doch wo liegt eigentlich der Vorteil?
Im Prinzip geht es nur darum, durch Gewichtsverlagerung zum Kurveninneren den Gesamtschwerpunkt so zu verschieben, dass die Maschine bei gleicher Geschwindigkeit weniger Schräglage braucht. Oder umgekehrt. Bei gleicher Schräglage erhöht sich der Speed. Von der nackten physikalischen Seite aus betrachtet, stimmt der Ansatz allerdings nicht wirklich. Denn wenn man von einer theoretisch unbegrenzten Schräglagenfreiheit des Motorrads ausgeht, ist selbst bei maximal verlagertem Schwerpunkt immer die Haftung der Reifen der begrenzende Faktor.
In der Praxis, sprich auf der Suche nach der schnellsten Fortbewegung, bringt Hanging-off vor allem eins: Gefühl fürs Limit. Etwas weniger Schräglage der Maschine bedeutet auch immer etwas mehr Reifenaufstandsfläche. Der Grenzbereich dehnt sich aus, und der Pilot bekommt mehr Rückmeldung vom Fahrzeug.
Klar, dass die Sache auch Nachteile hat. So braucht es eine halbe Ewigkeit, bis alle Bewegungsabläufe spielerisch sitzen. Und erst wenn das Hanging off so sicher wiedas Zähneputzen abläuft, bringt es auch die gewünschten Effekte.
Ein weiteres Problem ist die schlechte Übersicht. Taucht der Fahrer neben und unter sein Gefährt, bekommt er von seinem Umfeld herzlich wenig mit. Das stört auf der Rennstrecke nicht zwingend, bedeutet auf öffentlicher Piste aber einen klaren Sicherheitsverlust.
Sportlich ambitionierte Straßenfahrer praktizieren hier am besten einen gemäßigten Hang off. Denn auch ohne âKnie am Bodenâ lässt sich mit gekonnter Gewichtsverteilung auf dem Bike viel erreichen.
Vorausgesetzt, der Pilot befindet sich in einem entspannten, angstfreien Gemütszustand, bringen leichtes Versetzen zur Kurveninnenseite sowie ein nicht übertrieben nach vorne und innen geneigter Oberkörper vor allem in schnellen Kurven wesentlich mehr Gefühl für die Situation. Wichtig ist, dass der Akteur bei dieser Fahrweise erst gar nicht versucht, das Knie auf den Boden zu bringen. Die Füße bleiben locker auf den Rasten.
Am Rennplatz sieht die Situation dagegen völlig anders aus. In diesem Umfeld lohnt es sich für Freunde enthemmten Bratens in jedem Fall, dieses im Hang off zu tun. Eine durchschnittlich vier Kilometer lange Piste ist vergleichsweise sehr schnell gelernt und jede Runde, anders als die Landstraße, voll reproduzierbar.
Unverzichtbar für sauberes Hanging off ist eine pro Vorderrad orientierte Sitzposition. Die meisten gängigen Sportbikes unterstützen den Hang off bereits serienmäßig mit einem passenden Arrangement der Lenker und Fussrasten. Manche Geräte wie eine Ducati 996 sind gar so eindeutig zugeschnitten, dass man auf ihr ohne Hang off nur schwer zügig fahren kann.
Wichtig für das Erfolgserlebnis mit dem Knie sind auf dem Papier folgende Punkte: Erstens in Linkskurven den Oberkörper so verdrehen, dass der linke Ellenbogen und die linke Schulter nach vorn kommen. Zweitens mit dem Hintern ungefähr zur Hälfte von der Bank rutschen. Drittens den linken Fuss auf die Spitze stellen und die Ferse etwas nach außen drehen. Je weiter, desto flacher wird der Winkel zur Straße. Im Extremfall schleift dann der komplette Unterschenkel über den Belag.
Was einfach klingt, fordert in der Praxis Übung ohne Ende. Erst wenn alle Bewegungen mit der Geschmeidigkeit eines Tai Chi-Meisters vonstatten gehen, geht die Idee auf, und der Spaß beginnt so richtig.
Das Lernen nach Handbuch funktioniert klarerweise nur sehr bedingt. Jeder hat ein anderes Empfinden für die Materie, und jeder Biker sitzt in seinem ganz persönlichen Stil. Die einen rutschen extrem weit von der Bank, andere bewegen sich nur einen Hauch aus der Mittelachse. Manche liegen mit der Oberkörper fast auf dem Tank, während Kollegen wie 500er-As Norifume Abe komplett aufrecht thronen. Erlaubt ist alles, was gefällt. Gutes Beispiel hierfür ist auch das Weltmeisterteam der Supersportklasse um Udo Mark. Während Champ Jörg Teuchert extrem mit dem Oberkörper arbeitet, um seine Yamaha zu dirigieren, manövriert Teamkollege Christian Kellner seine R6 beinahe im klassischen englischen Stil. Und trotzdem vermeldet die Stoppuhr nahezu identische Rundenzeiten.
Und nun das Wichtigste zum Schluss. Für den prestigeträchtigen Bodenkontakt braucht es erschreckend wenig Schräglage. Nur ein gewisses Maß an Beweglichkeit ist bei der Übung Pflicht.
Ob klassisch mit Knie am Tank, mit engagiertem Oberkörpereinsatz oder gleich im gnadenlosen Hardcore-Hang off, es gibt zig Möglichkeiten, eine Kurve zu nehmen. Und weiterhin besten Gesprächsstoff.
Das Gegenteil von Hang off. Beim Drücken der Maschine bleibt der Oberkörper aufrecht. Rückmeldung geben dann alleine die Reifen. Der Grenzbereich ist sehr schmal.
Das Drücken in die Kurve hat auch einen Vorteil. Mit festem Griff am Lenker sind sehr schnelle Richtungsänderungen möglich. Die beste Technik für blitzartige Manöver.
Gefühlsecht. Ein weit nach außen gedrehter Fuß auf der kurveninneren Seite führt den Unterschenkel gen Asphalt. Getreu dem Motto: Je mehr schleift, desto mehr Gefühl. Vertrauenssache. Dieser Stil fordert Beweglichkeit, entschlossenen Körpereinsatz und viel Routine. Subjektiv liegt die Maschine mit dieser Technik besonders stabil.
Jedes Kilo zählt. Ein weit nach innen gebrachter Oberkörper verlagert den Gesamtschwerpunkt spürbar. Bei gleichem Tempo verringert sich die Schräglage. Die Technik darf auch auf der Landstraße angewendet werden. Da der Hintern nur im Ansatz von der Bank rutscht, hat der Fahrer mehr Übersicht als im vollen Hang off.
Nach Schulbuch. Der Körper ist entspannt, die innere Schulter und Ellenbogen gehen nach vorne und unten, der Oberkörper ist leicht verdreht. Der Blick geht weit voraus.
Die Fahrt im âklassischenâ Hanging off ist weit mehr als Körperakrobatik. Auf der Rennstrecke ist diese Technik Instrument für schnelle wie sichere Fortbewegung.